Das Meeresbodenkonzert 53°55’31.0“ N 08°43’35,01“ E

Das Meeresbodenkonzert 53°55’31.0“ N 08°43’35,01“ E

Um auf die dramatische Umweltlage in der Elbmündung hinzuweisen, veranstaltete das Orchester des Wandels e.V. zusammen mit der Deutschen Meeresstiftung ein Cello Konzert auf dem Meeresboden. Die Tonaufnahme war besonders tricky. Im Bild v.l.n.r. Konstantin Fitz, Christian Edelmann, Saskia Hirschinger, Jan Bauer.

Frühmorgens geht es los vom Yachthafen hinter der Seebäderbrücke in Cuxhaven. Das Meeresforschungsschiff „Aldebaran“ der Deutschen Meeresstiftung bringt 4 Celli und 4 Musiker*innen von Cuxhaven zur Sandbank Kratzsand auf der anderen Seite der Elbmündung, nicht weit von der Vogelinsel Trischen entfernt. Der Kratzsand ist als Sandbank während der Ebbe für etwa 45 Minuten frei vom Nordseewasser. Frank Schweikert, der Gründer der Deutschen Meeresstiftung und der Cellist Jan Bauer von der Vereinigung Orchester des Wandels e.V. hatten diese verrückte Idee, mit einem Cello-Quartett ein Konzert auf dem Meeresboden zu veranstalten. Nachdem das Schiff auf dem Kratzsand trockengefallen ist, bleibt nicht viel Zeit, um die Cellisten zu platzieren und das Konzert zu beginnen.

 

Kratzsand von oben 03.09.2022

 

Tonaufnahmetechnisch ist die besondere Herausforderung die Windstärke von 6 bis 7 Beaufort (39-61km/h) mit in Spitzen gemessenen Böen von 66km/h. Der Wind brüllt und pfeift konstant und fegt über die Sandbank, sodass Notenständer und Stühle im Sand fest verankert werden müssen. Die Situation bietet auf jeden Fall keine Chance mit einem Hauptmikrofon die Celli aufzunehmen, denn der Wind trägt jeden Klang sofort weg.

 

Recording bei 6 - 7 Windstärken

 

Daher sind alle Celli sorgfältig mit DPA 4061 Mikrofonen präpariert worden. Als notwendiger Windschutz kommt auf jedem DPA Mikrofon ein Bubblebee Industries Größe L02 zum Einsatz. Aus optischen Gründen wurde hier die Farbe dunkelbraun gewählt. Damit fällt das Mikrofon in den braunen Holz-Tönen des Cellos nicht auf. Die Mikrofone werden am Steg mit der DPA-Universal-Halterung DMM0007 befestigt, das Kabel wird zusätzlich unter dem Saitenhalter befestigt.

 

DPA 4061 am Steg eines Cello

 

DPA 4061 und BBI Windbubble L02 Brown

 

Da nicht klar war, wie schnell musiziert und aufgenommen werden würde, sind sämtliche Celli drahtlos mit Wisycom-Sendern MTP41S ausgestattet. Hierbei war besonders wichtig dafür zu sorgen, dass niemals ein Overload und möglichst kein Limiter-Einsatz am Wisycom-Sender eintritt. Mit der Gain-Einstellung -10dB am Sender-Eingang war dies sichergestellt. Die vier Signale werden an einen MCR54 Quad-Empfänger von Wisycom gesendet, der über das Aaton-Hydra-System über AES3 an den Rekorder Aaton Cantar Mini angeschlossen ist. Ein kurzer Frequenz-Scan im Elbfahrwasser über das Aaton-Hydra-System zeigte einen freien Bereich von 5MHz zwischen 470 und 475 MHz, in dem dann die 4 Sender platziert wurden. Zusätzlich wurde eine MS-Kombination von Schoeps MiniCMIT und CCM8 in einem Cinela Piani-Korb für Atmo-Zwecke auf einem Stativ eingesetzt.

 

MS-SetUp im Cinela Piani Schoeps MiniCMIT und CCM8

 

Aufnahmetechnisch war viel Glück im Spiel, denn es zeigte sich, dass die Notenblätter im rechten Winkel zur Windrichtung stehen mussten, um überhaupt lesbar zu sein. Damit war der Steg aller Celli gleichzeitig im leichten Windschatten von Cello und Musiker*in. Durch die sehr wirkungsvollen Bubblebee Windbubbles war auf keinem Cello-Mikrofon Wind zu hören. Das hat sicherlich auch mit dem relativ hohen Schalldruck an der Position des Mikrofons unter dem Steg zu tun und dem Verhältnis der Windturbulenzen dazu. Dennoch so extrem hoch ist der Schalldruck des Cellos an der Position am Steg nicht, der Klang ist weich und ausgeglichen. Die Konstruktion der Windbubbles sorgen für klangliche Transparenz und hohe Effektivität beim Reduzieren der Windgeräusche. Ich glaube, dass niemand wirklich damit gerechnet hatte, eine verwendbare Tonaufnahme unter diesen Windbedingungen zu erhalten.

 

Recording 4 Celli

 

Aufgezeichnet wurde mit 48KHz/24BIT auf dem Cantar Mini 16-Spur-Rekorder. Der Rekorder ist Wasser- und Staubdicht und war damit bestens für diesen Einsatz geeignet – besonders zum Ende der Aufzeichnung, als das Wasser sehr schnell stieg. Mit zwei Audioroot 48Wh Akkus wurden der Rekorder, die BSRF-HF-Distribution, Aaton Hydra und der Wisycom MCR54-Quad-Empfänger mit Strom versorgt. Das Aufnahme-SetUp war passend in einer Protogear-Tasche geschützt.
Das Besondere des Cantar-Mini-Rekorders ist die Integration eines 10-Kanal-Mischpults mit frei konfigurierbaren Kanalfadern. Diese können Inputs, Tracks, weiterhin Aux- oder Line-Out-Signalen zugewiesen werden. An jeder Stelle im Signalweg kann ein Equalizer und ein Limiter eingesetzt werden, was die Flexibilität des kleinen Rekorders weiter erhöht. So wurde neben den aufgezeichneten ISO-Tracks ein Mix-Down auf die Kamera gefunkt und ebenso aufgezeichnet. Ausgespielt wurden parallel Mono-Wav, Poly-Wav und Mix-Down solo auf jeweils drei externen Medien. Damit war auch die Möglichkeit eines schnellen Exports des MixDowns als mp3-Fassung für die Musiker*innen noch während der Rückfahrt nach Cuxhaven möglich.

 

Aaton Cantar Mini Recording Unit

 

Wie klingen die Celli und was hat es mit dem Konzert auf dem Meeresboden auf sich? Die Aufnahme klingt ausgeglichen und gleichzeitig Furz-trocken. Jede Cello-Stimme ist im Panorama gut durchhörbar und es zeugt von der hohen Professionalität der Musiker*innen, die unter diesen zerrenden Wind-Bedingungen für Klangbalance gesorgt haben. Damit ist ein Zweck der Aufnahme an diesem besonderen Ort mehr als gelungen: noch nie hat ein Cello-Quartett auf dem Meeresboden Musik gemacht um darauf aufmerksam zu machen, wie fragil der Einklang mit der gefährdeten Meereswelt inzwischen geworden ist. Große Teile des Elbdeltas sind aufgrund der Fahrwasser-Vertiefung und der damit einhergehenden dramatisch veränderten Fließgeschwindigkeiten und Elbschlick-Verschiebungen praktisch ohne Leben. Plankton und kleine Krebse, die wichtige Lebewesen im Nahrungskreislauf des Wattenmeers sind, können in dieser Umgebung nicht mehr gut leben. Meeresvögel hungern und sterben vermehrt.

 

Recording Kratzsand 03.09.2022

 

Auf diese besorgniserregende Entwicklung wollten die vier Musiker*innen von Orchesters des Wandels aufmerksam machen. Zusammen mit der Deutschen Meeresstiftung möchten sie auffordern zu handeln, solange noch zu handeln ist, bevor durch den Verlust von Arten das aussergewöhnliche Naturgebiet Wattenmeer aufhört zu sein. Das MS-Stereo-Mikrofon mit Schoeps MiniCMIT und Schoeps CCM8 nahm eine gespenstische Atmo aus kleinen Wellen am Rand der Sandbank „Kratzsand“ auf. Ausser den Wassergeräuschen war es still: Es waren schon keine Meeresvögel mehr zu hören - ungewöhnlich während der Ebbe, wo sonst Möwen, Austernfischer, Brandseeschwalbe und Meerstrandläufer lautstark auf Nahrungssuche sind. Es bleibt zu hoffen, dass das Meeresbodenkonzert vom 3. September 2022 aufhorchen lässt und ein Zeichen setzen kann für Umweltschutz und Achtsamkeit. Zeigermann_Audio GmbH hat das Projekt gerne unterstützt und wird auch weiterhin das Orchester des Wandels e.V. begleiten. Übrigens gibt es auf der Website des OdW viele interessante Texte, wie der Energie-Verbrauch eines Orchesters auf Reisen und bei Konzerten deutlich reduziert werden kann.

www.orchester-des-wandels.de

www.meeresstiftung.de

 

Das Medienschiff Aldebaran

 

Fotos: Zeigermann_Audio GmbH, Inge Möwe, Frank Schweikert

 

 

Kommentare

  1. Maarten van de Voort Maarten van de Voort

    danke Volker! schöner Bericht zu dem sehr guten Zweck - die Elbe ist inzwischen schon fast als toter Fluss zu betrachten, auch wegen des grossen Fischsterbens… Hauptsache der Hafen brummt…

  2. Jochen Weber Jochen Weber

    Ein musikalisches Ereignis von mahnender Bedeutung: Was muss noch passieren, um den Verantwortlichen der drohenden Umweltkatastrophe die Augen zu öffnen?
    Ein besonderes Lob an Volker Zeigermann, der mit all seiner optimalen Technik und seinen enormen Fähigkeiten als Tonkünstler diese Aktion unterstützt.

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